Aktuelles

Pressemitteilung des Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen: Vom Systemsprenger zum Lebenskünstler

Kaiserslautern

„Wir wussten nicht, dass es unmöglich ist, und deshalb haben wir es geschafft." Mit diesem Satz des Poeten Jean Cocteau schloss Peter Weinmann seinen spannenden Vortrag bei der 17. Jahrestagung des „Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen Rheinland-Pfalz e.V." (LVPE) am 13. März im Pfalztheater Kaiserslautern.

Hörten den Psychiatrie-Erfahrenen aufmerksam zu: Christine Morgenstern aus dem Gesundheitsministerium, Kuratoriumsvorsitzende Roswitha Beck und Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke
Hörten den Psychiatrie-Erfahrenen aufmerksam zu: Christine Morgenstern aus dem Gesundheitsministerium, Kuratoriumsvorsitzende Roswitha Beck und Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke

"Lebe lieber ungewöhnlich", rief der frühere Psychiatriepatient und heutige Diplom-Biologe den Tagungsteilnehmern von der Werkstattbühne aus zu. Als Initiator der "Anlaufstelle für selbstbestimmtes Leben" in Saarbrücken ermutigte er die Anwesenden dazu, die Deutungshoheit über ihr Leben nicht anderen zu überlassen.
Gegenseitige Ermutigung - das war ein wichtiges Ziel der Kooperationsveranstaltung von LVPE und Pfalzklinikum, wie der LVPE-Vorsitzende Franz-Josef Wagner, betonte. Er und Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke freuten sich über das große Interesse an der gemeinsamen Veranstaltung, die bereits Mitte Februar ausgebucht war. "Wir begegnen uns heute mit mehr Respekt und Verantwortung als noch vor einem Jahr", erinnerte Wagner an das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Menschen in Lebenskrisen, ihren Angehörigen und professionellen Helfern. "Diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe bringt mir sehr viel", dankte Bomke den Psychiatrie-Erfahrenen "für alles, was ich von Ihnen lernen durfte". Sein Dank galt auch dem Pfalztheater, dafür dass es sich der (Über)-Lebenskunst geöffnet habe. 
So waren an den Wänden großformatige Fotos von  Martina Miocevic und Bea Roth zu sehen, die im Jahr 2010 mit der originellen Exposition „Kopfkrieg" ihren Bachelor-Abschluss an der Fachhochschule Mainz gestaltet hatten. Bea Roth verfolgte interessiert, wie sich die Tagungsteilnehmer mit dieser künstlerischen Umsetzung eines „unkontrollierten Gedankenkarussells" auseinandersetzen.

Mit großem Interesse hörten sie Tanja Hermann zu, Dramaturgin am Pfalztheater, die auf ein einzigartiges Tanzprojekt von Menschen zwischen 6 und 91 Jahren neugierig machte: Neben den Mitgliedern der Pfalztheater-Companie werden am 24. und 28. März auch viele Laien aus der Region tanzen, insgesamt 160, unter ihnen ehemalige Patienten der Klinik Kaiserslautern des Pfalzklinikums sowie Tänzer mit körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen.
Schirmherrin Roswitha Beck, Kuratoriumsvorsitzende des Vereins zur Unterstützung Gemeindenaher Psychiatrie in Rheinland-Pfalz e. V., empfing herzlichen Applaus für ihren ersten Auftritt als Gattin des Ministerpräsidenten a. D. Ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Verein, der in den knapp zwanzig Jahren seines Bestehens bereits eine Million Euro für die Begleitung der Psychiatriereform gesammelt hat, sei ihr zu wichtig, als dass sie sie an die Rolle der Ministerpräsidenten-Ehefrau knüpfe.
Die Grüße des neuen Gesundheits- und Sozialministers Alexander Schweitzer überbrachte Christine Morgenstern, Abteilungsleiterin für Gesundheit im Mainzer Ministerium. Sie zeigte sich sehr erfreut über die beispielhafte Zusammenarbeit zwischen LVPE und Pfalzklinikum. Als wichtige Botschaft nahm sie mit: "Veränderung ist möglich - ein gutes Leben mit oder trotz einer psychischen Erkrankung." Dies werde die Landesregierung auch weiterhin mit ihren Mitteln unterstützen, so dass sich überall ein bio-psycho-soziales Krankheitsmodell durchsetzen könne und Hilfen für Betroffene  zunehmend "lebenszentriert und  sektorenübergreifend" würden.
"Das hören wir sehr gerne", freute sich Brigitte Anderl-Doliwa, Leiterin des Pflegerisch-Pädagogischen Dienstes im Psychiatrieverbund Nordwestpfalz des Pfalzklinikums, die kompetent und charmant durch die Veranstaltung führte. Ihr Mitarbeiter Raimund Albert nutzte spontan die Gelegenheit, für sein Projekt "Weglaufhaus" zu werben. Er lud nicht nur zum Spendensammeln ein, sondern auch zur konzeptionellen Mitarbeit interessierter Betroffener. Das Weglaufhaus solle bei Auftreten einer psychischen Krise als Alternative zum Klinikaufenthalt angeboten werden, damit Betroffene Wahlmöglichkeiten in der Nähe fänden, die ihrer Situation am besten entsprächen. Im Weglaufhaus würden Menschen mit pädagogisch-pflegerischer Kompetenz zur Verfügung stehen. "Gesprächsangebote können genutzt werden, müssen aber nicht", so Raimund Albert.
"Man weiß nie, wie eine Kuh einen Hasen fängt", zitierte die Psychiatrie-Erfahrene Sibylle Prins ein niederländisches Sprichwort. Die ehemalige Lehrerin berichtete von Psychosen, die sich zuerst zerstörerisch auswirkten und später zur Grundlage eines besseren Lebens wurden. "Hütet Euch vor voreiligen Prognosen", so ihr Appell.
"Mein größter Erfolg ist, dass ich so bin, wie ich bin" hatte eine Frau mit Psychose-Erfahrungen der Forscherin Birgit Richterich aus Duisburg gesagt. In einer kleinen Studie hatte die Wissenschaftlerin herausgefunden, was für einen zufriedenstellenden Lebensentwurf wichtig ist: Hoffnung finden, lange Zeiten für Veränderungen einplanen, professionelle Hilfe souverän nutzen und sich selbst souverän als Gestalter des eigenen Lebens annehmen. Es gehe darum, sich im Kontakt zu Menschen zu spüren, auch sein Wirken auf Menschen. "Die eigene Verletzlichkeit wahrnehmen, darum wissen und sein Leben danach ausrichten", das empfänden viele Befragte als Erfolg. 
Aus Hamburg war die Diplom-Psychologin Friederike Ruppelt angereist, um über ein Forschungsprojekt zum subjektiven Sinn ("SuSi") von Psychosen zu berichten. Demnach könnten Betroffene die Auswirkungen ihre Psychose um so positiver sehen, je besser es ihnen gelinge, die Entstehung "ungewöhnlicher Zustände" als etwas Eigenes zu sehen.

Wie er aus dem „Schicksalsschlag Psychische Erkrankung" Kraft schöpft und kreativ seinen Genesungsprozess (Recovery) unterstützt, zeigte eindrucksvoll auch Matthias Weber an der Harfe, der im Foyer des Pfalztheaters eigene Lieder vorstellte.  
In lebhaften Pausengesprächen bei köstlichen hausgemachten Suppen und Kuchen waren sich die „(Über)Lebenskünstler", einig, die eigenen „Unvollkommenheiten" nicht wegzuperfektionieren, sondern mit Freude zu leben. "Ich habe gehört, dass die Profis stärker mit Peers (Betroffenen, Experten in eigener Sache) zusammen arbeiten wollen - da kann weiter etwas wachsen", schloss Franz-Josef Wagner die manchmal auch kontroverse Debatte. "Diese Kontroversen sind es, die uns weiterbringen", bedankte sich Brigitte Anderl-Doliwa bei den diskussionsfreudigen Tagungsteilnehmern.